Christoph Villinger, freier Journalist
Niedrige Mieten, ohne Banken und mit Balkon
Sozialer Wohnungsbau: In Deutschland fehlen rund 4 Millionen Wohnungen für Menschen mit niedrigem Einkommen. Das österreichische Bundesland Salzburg macht mit seinem Wohnbaufonds vor, wie ein nachhaltiger Sozialer Wohnungsbau geht. Und in Berlin machen sich die Mieter/innen am Kottbusser Tor die grundsätzlichen Gedanken, die sich eigentlich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung machen müsste.

Anschub mit politischer Unterstützung

Mieten im Sozialen Wohnungsbau können auch sinken. Mitten in Salzburg kostet auf dem freien Wohnungsmarkt eine durchschnittliche 70-Quadratmeter-Wohnung knapp 1.000 Euro warm. Doch sie kann auch nur rund 600 Euro warm kosten, nachdem eines der kommunalen Wohnungsunternehmen die Wohnung aufkauft hat. “Wir haben in den letzten Jahren die Mieten im Sozialen Wohnungsbau um rund ein Drittel gesenkt“, berichtet Walter Blachfellner, bis zum Sommer 2013 im Bundesland Salzburg der zuständige sozialdemokratische Landrat. Gelungen ist seiner Verwaltung für die Wohnbauförderung dies mit dem Konzept des „Salzburger Wohnbaufonds“, mit dessen Geldern Wohnungen rekommunalisiert wurden.

Auch beim Neubau gelingen den kommunalen Wohnbau-Unternehmen in Salzburg beeindruckende Erfolge. So entstand in der Nähe des Hauptbahnhofs ein neues Quartier: das Stadtwerk Lehen. Im Erdgeschoss der architektonisch anspruchsvollen und nach neusten Kriterien für Energieeffizienz errichteten Gebäude ist Platz für „Kunst, Kultur und Soziales“. Doch der eigentliche Clou ist, dass hier in den oberen Stockwerken keine Luxuswohnungen für Gutverdiener, sondern von der gemeinnützigen Salzburger Wohnbaugesellschaft (gswb) 292 geförderte Mietwohnungen im Sozialen Wohnungsbau errichtet wurden.

„Die Netto-Kalt-Miete für eine 77 Quadratmeterwohnung beträgt 368,24 Euro“ rechnet Alexander Tempelmayr, Sprecher der gswb, vor. Das ergibt eine Quadratmeter- Miete von 4,78 Euro. Selbst nach voller Rückzahlung aller Darlehen für den Wohnungsneubau soll die Netto-Kalt- Miete ungefähr in dieser Höhe stabil bleiben.

Warum ist in Österreich möglich, was in Deutschland nicht zu gehen scheint? Selbst städtische Wohnungsbaugesellschaften kommen bei ihren Berechnungen für Neubauten kaum auf eine Miete unter acht Euro Netto-Kalt pro Quadratmeter. Und auch beim Bestand von Sozialwohnungen steigen die Mieten ständig, obwohl allein seit 1990 in Berlin rund 21 Milliarden Euro an Fördergeldern im sozialen Wohnungsbau versickerten. Diese befinden sich heute zumeist in den Taschen der Eigentümer und Banken.

Das Gegenkonzept aus Österreich heißt „Salzburger Wohnbaufonds“. Wie geht’s das? Hörbar schwingt Stolz mit, wenn der 61-jährige Blachfellner über das Erreichte berichtet. „Im Jahr 2005 stand das Land Salzburg mit 1,5 Milliarden Euro Schulden in der Wohnbauförderung da. Deshalb haben wir das System seit 2006 komplett umgestellt und uns von der Finanzierung über private Banken verabschiedet.“ Damals ein gewagter Schritt. Stattdessen wurde ein „revolvierender Fonds“ etabliert, der beim Land Salzburg angesiedelt ist und einzig dem Zweck dient, Wohnraum zu schaffen. Die meist gemeinnützigen Bauträger holen sich ihre Kredite zum Bau der Häuser nicht mehr bei der Bank, sondern bekommen das Geld aus dem Fonds. So gehen die Einnahmen aus den Mieten nicht mehr indirekt über die Zinszahlungen an die Banken, sondern die Zinsen und Tilgungen werden an den Wohnbaufonds zurückbezahlt. „Was bisher die Banken verdient haben, fliest nun in billigere Mieten und mehr Bauvolumen“, so Blachfellner.

Das Geld zum Aufbau des Fonds stammt unter anderem aus den 113 Millionen Euro jährlichen zweckgebundenen Zuschüssen des Bundes und Mitteln der EU für umweltrelevante Investitionen. Und vor allem aus der Möglichkeit, „als staatlicher Fonds mit gemeinnütziger Zielsetzung Gelder von der Bundesbank für zur Zeit niedrigste Zinssätze zu bekommen“, so der Landrat. Auf diese Weise können aus dem Salzburger Wohnbaufonds je nach Förderart zinsgünstige Kredite für Mietwohnungen und selbstgenutzte Eigenheime zwischen ein und 2,5 Prozent angeboten werden – mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 30 Jahren. Da es sich um gemeinnützige Zielsetzungen handelt, kann dieser Zinssatz bis zur vollständigen Tilgung des Kredits festgelegt werden.

Nach aktuellen Hochrechnungen soll sich der „Salzburger Wohnbaufonds“ bis spätestens 2029 zur Gänze entschuldet haben und wird dann mit seinem angepeilten Volumen von rund 350 Millionen Euro jährlich für die Wohnbauförderung zur Verfügung stehen. „Dann ohne einen Cent Steuergelder“, betont Blachfellner. „Mit unserem Modell überlassen wir der nächsten Generation nicht Schulden, sondern stellen ihnen Geld zur Verfügung.“

Allerdings machte der Salzburger Wohnbaufonds im letzten Jahr auch negative Schlagzeilen. Laut Zeitungsberichten begann die Finanzabteilung des Landes Salzburg mit nicht aktuell benötigten Geldern zu spekulieren. Inzwischen wurde zwar gerichtlich festgestellt, dass kein Vermögensschaden entstand. Doch unter anderem weil vielen Salzburgern das kreative Jonglieren mit den Geldern missfiel, kassierten die Salzburger Sozialdemokraten im Frühjahr 2013 eine herbe Wahlniederlage. Von der grundsätzlichen Richtigkeit des Wohnbaufonds ist auch die neue Landesregierung überzeugt, sie stellt allerdings die finanzielle Verwaltung des Fonds komplett neu auf.

Parallel hat der Salzburger Wohnbaufonds auch erste höhere Weihen bekommen. Rund 20 Expert/innen des „European Housing Forum“ der Europäischen Union kürten ihn im Sommer 2012 zum „Best-Practice-Beispiel für EU-Regionen“ und lobten das „hervorragende Modell, dass nachhaltige Investitionen in den Neubau und die Sanierung von Wohnraum mit dem klaren Ziel der Senkung der Wohnkosten für die Bewohner verbindet.“

Barbara Steenbergen, Leiterin des Verbindungsbüros der International Union of Tenants (Internationale Mieterunion) zur EU in Brüssel, war mit in Salzburg. „Wo gibt es das noch in Europa, dass bezahlbare Neubau-Wohnungen, überwiegend zur Miete und sogar schöne Wohnungen, in der Innenstadt von der Öffentlichen Hand angeboten werden?“.

Inzwischen macht das Salzburger Modell nicht nur bei der EU Furore. Das Kottbusser Tor ist für den Finanzexperten Michael Breitkopf und den Sozialberater Rainer Wahls genau der richtige Ort, ihren Vorschlag zu einer kompletten Neuorganisation des Berliner Sozialen Wohnungsbaus vorzustellen. Das „Wohnungspolitische Handlungskonzept“ der beiden Experten ist inspiriert vom Salzburger Wohnbaufonds, dessen Grundgedanken sie auf Berlin übertragen. Aber auch auf Berliner Vordenker, wie Klaus Novy, in den 80er Jahren TU-Professor für Bauökonomie, und Bernd Holtfreter, um die Jahrtausendwende mehrmals auf dem Ticket der damaligen PDS ins Abgeordnetenhaus gewählt, beziehen sie sich.

Für die beiden Experten ist der zentrale Schritt die Schaffung eines Sondervermögens des Landes Berlin. Darin soll ein „revolvierender Fonds“ angelegt werden, jedoch vom üblichen Haushalt getrennt. „Umgangssprachlich kennt mensch so etwas unter dem Begriff ‚Marshall-Plan’“ sagt Breitkopf. Die Einnahmen aus den Mieten würden in Form von Zins und Tilgung zurück in den Fonds fließen, statt in die Hände von privaten Banken. Als Eigentümer der Häuser schlagen sie eine öffentlich-rechtliche Körperschaft „Wohnungsversorgung Berlin“ vor, die per Statut dem Alltagsgeschäft der Politik entzogen ist, keine weitere städtische Wohnungsbaugesellschaft. Dazu demokratisch organisiert und öffentlich kontrolliert, „damit nicht die üblichen Verdächtigen hinter dem Rücken der Steuerzahler sich die Subventionen zuschanzen.“

Zudem müsste die soziale Wohnraumversorgung als Staatsaufgabe definiert werden, damit die EU nicht wegen Wettbewerbsverzerrung klagt. Dies dürfte aber mit dem Paragraf 28 der Berliner Verfassung, der „die Schaffung und Erhaltung von angemessenen Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen“ fordert, kein Problem sein. Über die letzte verbliebene Berliner Staatsbank, die IBB, könne der Fonds Gelder zu dem niedrigen Zinssatz von 0,5 Prozent bekommen, der für den Staat gilt. Zuzüglich eines Verwaltungsaufwandes wäre so ein Zinssatz von unter 1,5 Prozent durchaus realistisch. Als Startkapital könnte Berlin die 180 Millionen Euro nehmen, die es demnächst aus der Bundeskasse zweckgebunden für die Kosten der Unterkunft von Hartz-IV Empfängern erhält. Laut Breitkopf sind diese aber „schon längst anderweitig in den Berliner Finanzlöchern verplant“.

So könnten nicht nur 30.000 Wohnungen, wie es der Senat verspricht, in den nächsten fünf Jahren gebaut werden. „Wir halten es für angemessen, auf zehn Jahre gesehen mit einem Neubaubedarf von 100.000 Wohnungen zu planen“. Dazu schlagen Breitkopf und Wahls den Rückkauf von 50.000 weiteren Wohnungen aus den privatisierten Beständen vor. „Wir reden von einer finanziellen Dimension von ca. 20 Milliarden Euro, über zehn Jahre verteilt sind dies rund 2 Milliarden Euro pro Jahr“.

Für die Mieter/innen am Kottbusser Tor könnte ein Rückkauf der Hochhäuser eine Lösung sein. Stadtentwicklungssenator Müller (SPD) hatte ihnen in einem Brief ein fiktives Zahlenbeispiel mit 40 Wohneinheiten und durchschnittlich 70 Quadratmetern großen Wohnungen genannt. Eigentlich um zu beweisen, wie unbezahlbar eine Re-Kommunalisierung sei. Doch kalkuliert man einen Rückkauf der Hochhäuser mit den Instrumenten des „Salzburger Wohnbaufonds“ durch, kommt man deutlich unter eine Quadratmetermiete von fünf Euro Netto-Kalt. Dies ist nahe dran an der Forderung nach einer Mietobergrenze von 4 Euro im Sozialen Wohnungsbau in Berlin.