Reiner Wild, Berliner Mieterverein e.V. (BMV)
Die Richtsatzmiete im Sozialen Wohnungsbau

Instrument zum Ausgleich von Mietverzerrungen im Sozialen Wohnungsbau

Momentan wird im Berliner Sozialen Wohnungsbau die so genannte Kostenmiete zur Grundlage für die Mietenberechnung genommen. Diese problematische Mietenbildung hat mit dem Wohnwert und dem ursprünglichen Zweck des öffentlich geförderten Wohnungsbaus nichts mehr zu tun. Die Einführung einer Richtsatzmiete die unterhalb des Mietspiegels liegt, verändert die Rahmenbedingungen hin zu einer öffentlich-rechtlich festgelegten Höchstgrenze. Die Möglichkeit einer Senkung bereits zu hoher Mieten bleibt zu prüfen.

1. Hintergrund

Die Mietensituation im bestehenden Sozialen Wohnungsbau ist aus folgenden Gründen problematisch:

  1. Mindestens ein gutes Drittel der noch vorhandenen Sozialwohnungen kann seine Versorgungsfunktion nicht erfüllen, weil die Mieten über dem Niveau freifinanzierter Vergleichswohnungen liegen bzw. für den eigentlichen Berechtigtenkreis des Sozialen Wohnungsbaus, die Haushalte mit Wohnberechtigung, nicht zu finanzieren sind.
  2. Aufgrund des Kostenmietenprinzips und der dadurch bedingten Anbindung an die historischen (Finanzierungs-) Kosten gibt es innerhalb des Sozialen Wohnungsbaus erhebliche Unterschiede im Mietniveau, die nichts mit dem Wohnwert zu tun haben.

2. Begriffsbestimmung „Richtsatzmiete im Sozialen Wohnungsbau“

Der Ausstieg aus dem Kostenmietprinzip und einer teuren und sozialpolitisch ineffektiven Förderung ist der richtige Weg, wenn die besondere soziale Funktion der Sozialwohnungen dabei gewahrt und langfristig gesichert wird. Nach Auffassung des BMV ist dies mit einer politisch durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt mit Unterstützung der IBB festgelegten Richtsatzmiete möglich. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um eine veränderte Version der ortsüblichen Vergleichsmiete, sondern um eine öffentlich-rechtlich festgelegte Höchstgrenze, die demgemäß auch bei Wiedervermietung von Wohnraum in Form eines preisrechtlich zulässigen Oberwertes gilt.

Die Festlegung der Richtsatzmiete soll in einer nach Baualter, Lage und Ausstattung differenzierten Tabelle erfolgen. Die Mietwerte sollen sich an den Mittelwerten des Mietspiegels orientieren, allerdings unter Berücksichtigung eines mindestens 10%-igen Abschlages, der mit der niedrigeren Einkommen der Mieter in Sozialwohnungen (Belegungsbindung) begründbar ist. Die Abschlagsdifferenzierung soll nach stadtentwicklungspolitischen und sozialpolitischen Kriterien erfolgen. Als Maßstab bieten sich jedoch nicht die analogen Baualtersklassen des Mietspiegels an, weil diese freifinanzierten Wohnungsbestände von der Miethöhe, dem Ausstattungsstandard und der Lage ein besonderes Nischenprodukt des Berliner Wohnungsmarktes sind. Empfehlenswert wäre daher eine Orientierung an den freifinanzierten Beständen der Baujahre 1950 bis 1972 und 1973 – 1990 im Ostteil der Stadt. Die Fortschreibung der Mietwerte kann in differenzierter Form mit den turnusmäßigen Fortschreibungen des Mietspiegels synchronisiert werden.

Mit der Richtsatzmiete wird die Bindung an die historischen Kosten abgelegt. Dies ist wegen der oft problematischen Mietenbildung im bisherigen System vertretbar. So haben die tatsächlichen Kosten z.B. bei Erwerb bestehender Sozialwohnungen nichts mehr mit der ursprünglichen Kostenmietberechnung zu tun, die aber nach überwiegender bisheriger Rechtsprechung wegen des Einfrierungsgrundsatzes zur konkreten Mietenbildung gegenüber dem Mieter anwendbar bleibt.

Eine besondere Problematik ergibt sich bei der Festlegung der Mietwerte hinsichtlich des Umgangs mit Miethöhen, die die Richtwerte bereits überschritten habe. Ein Mietsenkungsanspruch dürfte nicht generell unwirksam sein, muss sich aber einer Prüfung unterziehen, ob die Eingriffstiefe hinsichtlich einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung zulässig ist.

3. Rechtliche Zulässigkeit

Nach einem von der damaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs.9 des Entwurfs vom 8.6.2010 für ein Wohnraumförderungsgesetz des Landes Berlin, erstellt durch die Rechtsanwaltskanzlei Freshfields, Bruckhaus, Deringer, ist eine Richtsatzmiete verfassungsrechtlich zulässig. Bedenken werden allerdings für die Anwendung von Richtsatzmieten für die 28.000 Sozialwohnungen vorgetragen, die nach einem Beschluss des Berliner Senats und des Abgeordnetenhauses ab 2003 keine Anschlussförderung mehr nach der ersten 15-jährigen Grundförderphase erhalten haben.

4. Die Festlegung der Richtsatzmiete im Konzept des Berliner Senats

Mit dem Entwurf für ein Wohnraumförderungsgesetz des Landes Berlin vom 8.6.2010 wurde in § 10 Abs.9 die Einführung einer Richtsatzmiete in Erwägung gezogen. Der Entwurf enthielt einen Prüfauftrag, der auch einen sozialpolitisch gebotenen Abstand zur Vergleichsmiete (10% unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete) beinhaltete (s.o.).

Mit der Verabschiedung des Gesetzes über den Sozialen Wohnungsbau in Berlin (Wohnraumgesetz Berlin - WoG Bln), vom 1. Juli 2011 (GVBl. 2011 vom 9.7.2011, S. 319) hat sich Berlin vom Konzept der Richtsatzmiete verabschiedet, denn es fand keinen Eingang in die beschlossenen Vorschriften, trotz der wohlwollenden Begutachtung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit.

5. Anwendung von Richtsatzmieten

in den Förderprogrammen der Bundesländer Durch ein Wohnraumfördergesetz sind bislang nur in Baden-Württemberg nach Umsetzung der Föderalismusreform Richtsatzmieten zur Anwendung gekommen. So wird die zulässige Höchstmiete für Sozialwohnungen in Stuttgart nach Abschaffung der Kostenmiete für öffentlich geförderte Wohnungen in Baden-Württemberg zum 1. Januar 2009 durch eine städtische Satzung bestimmt. Ab dem Jahr 2011 werden die ausgewiesenen Höchstmieten mit den Mietpreissteigerungen der jeweiligen Mietspiegel fortgeschrieben.