Kotti & Co, Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor
Rekommunalisierung Plus: Modellprojekt Kotti
Unsere Häuser am Kotti sind typische Beispiele des sozialen Wohnungsbaus Westberlins. Mit öffentlichen Subventionen wurden sie in den 70er Jahren gebaut und galten den Besitzern als Abschreibungsobjekte. Je höher die Baukosten wurden, desto höhere Summen konnten die Anleger von der Steuer abschreiben. Da dabei hohe Mieten entstanden, gab Westberlin den Eigentümern noch mehr Subventionen in Form von Zuschüssen und Darlehen, damit die Wohnungen für die beziehbar waren, für die sie angeblich gebaut wurden. Die Eigentümer haben also doppelt daran verdient und das über dreißig Jahre lang. Die Miete wird für die MieterInnen jedoch jährlich erhöht, momentan, weil die Stadt die Darlehensrückzahlungsrate jedes Jahr erhöht. Der rot-rote Senat hat damit 2003 nicht etwa ein Ende gemacht. Schon gar keines, das die MieterInnen vor den hohen Mieten schützt. Im Gegenteil wird uns gegenüber auch heute noch behauptet, dass man an die Verträge aus den 1970er Jahren gebunden sei und gar nichts machen könne. Allerdings sind Eingriffe in Verträge keine Seltenheit. Man hat auch die ehemals kommunale Wohnungsbaugesellschaft GSW privatisiert. Diese besitzt 10.000 Sozialwohnungen, 1.000 davon sind am Kotti.
Wir können eine politische Kapitulation vor der eigenen Verantwortung nicht akzeptieren. Wir wohnen in den Häusern, die mit Steuergeldern gebaut wurden und wollen dort bleiben. Und die derzeitigen Mieten mit 6,-€ kalt pro Quadratmeter und 4-5,-€ Nebenkosten sind zu hoch für uns, für geringe Einkommen, niedrige Renten und Transferleistungen. Deshalb protestieren wir seit Mai 2012 auf der Straße mit unserem Protest-Gecekondu.

Wir protestieren nicht nur, sondern machen auch Vorschläge. Zum Beispiel, dass die Mieten auf den Jobcentersatz gesenkt werden, oder dieser auf die realen Mieten angehoben wird. Damit könnte ein Teil der jetzt schon massiven Verdrängung vorübergehend aufgehalten werden.

Vor allem brauchen wir jedoch langfristige Lösungen für die 110.000 Berliner Sozialwohnungen in privaten Händen. Ihre Rekommunalisierung ist die wirksamste, nachhaltigste und langfristig günstigste Lösung für das Land Berlin. Wer das Riesenproblem von Gentrifizierung und Verdrängung bekämpfen will, muss Lösungen für die BestandsmieterInnen finden. Alle Pläne, die sich auf Neubau richten, evtl. sogar von privaten Investoren, verändern nichts für uns. Im schlimmsten Fall bedeuten diese Pläne, die Fehler der Vergangenheit noch einmal zu machen. Alle privatwirtschaftlichen und sozialstaatlichen Versuche, die über unsere Köpfe hinweg entschieden und durchgeführt wurden, haben uns keine Sicherheit in bezahlbaren Wohnungen gegeben.

Rekommunalisierung bedeutet: Es fließt kein Geld mehr an private Investoren und Banken. Das senkt die Mieten – nicht nur für einige Jahre, sondern dauerhaft.

Rekommunalisierung reicht jedoch nicht aus. Sie kann nur der erste Schritt eines neuen sozialen Wohnmodells sein. Wir wissen, dass die kommunalen Wohnungsgesellschaften genauso rendite-orientiert arbeiten müssen, wie die Privaten. Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe. Zumal eine kommunale Gesellschaft ja je nach Geschmack der politisch Verantwortlichen jederzeit verkauft werden kann. So kam es auch zum Verkauf des größten städtischen Wohnungsunternehmens, GSW, von dem jetzt alle einstimmig als Fehler sprechen. Diesen Lippenbekenntnissen müssen endlich Taten folgen.

Doch nachhaltige Konzepte, um diesen Fehler zu korrigieren, gibt es bisher seitens der Regierung nicht. Den kommunalen Bestand zu erhöhen, ist zwar Ziel der derzeitigen rot-schwarzen Regierung, jedoch macht sie sich vom Verkaufswillen der privaten Eigentümer abhängig. Ein Gutachten, das die Eingriffsmöglichkeiten auslotet, wird genauso wenig in Auftrag gegeben, wie die Entwicklung von Plänen gemeinwohlorientierter Wohnungswirtschaft, noch einer Studie über die sozialen Folgekosten. Aus diesen drei Elementen kann aber ein Umdenken in der Landespolitik bestehen, wenn tatsächlich an einer zukunftsorientierten und steuerbaren Wohnungspolitik gearbeitet werden soll. Rekommunalisierung allein ist nicht die Lösung.

Werden Wohnungsbestände zurück erworben, findet lediglich ein Besitzwechsel statt. Die Kosten für den Rückerwerb liegen auf den Häusern und müssen wiederum über Jahrzehnte abgestottert werden. Eine Rekommunalisierung, welche die bereits zu hohen Mieten nicht senken kann, ist jedoch keine Lösung für das Problem der unbezahlbaren Mieten in den Sozialwohnungen.

Eine Bewirtschaftung der rekommunalisierten Wohnungsbestände kann daher nicht nach dem derzeitigen Prinzip der städtischen Wohnungsunternehmen funktionieren. Diese sind ebenso renditeorientiert wie die Privatwirtschaft und haben außerdem als kommunale Unternehmen den EU-Richtlinien zu folgen, welche die Privatisierungsspirale erst in Gang gesetzt haben.

Darüber hinaus sind die kommunalen Unternehmen dem Spiel der Legislaturperioden ausgesetzt und sind im Zweifelsfall das Tafelsilber bei leeren Haushaltskassen. Wenn wieder eine Regierung zu viele Schulden macht durch schlecht geplante Großprojekte oder durch übergroße Subventionsgeschenke an die Bauwirtschaft, laufen die Wohnungen der landeseigenen Bestände Gefahr, verkauft zu werden.

Es müssen also Lösungen für diese drei Probleme gefunden werden. Das heißt, erstens kann eine Rekommunalisierung kein „Weiter-wie-bisher“ bedeuten, sondern es müssen Erwerbsmodelle gefunden werden, die nicht die Mieten anheben. Zweitens muss eine Form der Bewirtschaftung dieser Bestände gefunden werden, die nicht renditeorientiert ist und nicht den Spielregeln des Marktes folgen muss. Drittens müssen diese Bestände dem Zugriff der öffentlichen Hand entzogen werden.

Gemeinwohlorientierte Trägerschaft

Wir haben dafür auf der Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau im Abgeordnetenhaus das Modell des „Revolvierenden Fonds“ für Ankäufe im Bestand vorgestellt. Salzburg und Wien haben solche Überlegungen umgesetzt (siehe Beitrag Christoph Villinger).

Was wir also fordern ist nichts weniger als ein Modell für ein neues soziales Wohnen. Eine Rekommunalisierung Plus. Also Rekommunalisierung plus Gemeinnützigkeit plus Selbstverwaltung. Nur so können vielleicht langfristig Mieten für Geringverdienende und KdU-Sätze gewährleistet werden.

Die Trägerschaft muss durch eine gemeinnützige Körperschaft öffentlichen Rechts organisiert werden. Sie soll nicht privatisierbar sein und ihr Geld als revolvierender Fond verwalten. Eine solche gemeinwohlorientierte Trägerschaft muss nicht mehr 6% Rendite aus den Mieten erwirtschaften, sondern lediglich die Instandhaltungskosten. Genossenschaften und das Mietshäusersyndikat machen vor, wie so etwas geht, und sogar noch Investitionen möglich sind. Nur geht es diesmal nicht um Mittelschichtswohnungen sondern Wohnungen für Leute, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Da muss das Eigenkapital vom Land Berlin kommen. Ein solches Modell heißt: Unsere Mieten fließen wieder in unsere Häuser – für die Zwecke, die wir selbst bestimmen. Ein Überschuss soll dazu dienen, unseren Bestand zu erweitern und ein deutliches Zeichen setzen: Wir wollen keine Insellösungen. Wir wollen eine neue Form von sozialer Wohnungspolitik! Wir wollen nachhaltige Lösungen für die große Gruppe der Verdrängten und Verdrängungsbedrohten!

Mitbestimmung der MieterInnen

Rekommunalisierung muss aber auch bedeuten: Die Macht der Investmentfonds und Wohnungsgesellschaften über unsere Häuser darf nicht von der Macht der PolitikerInnen und Parteien ersetzt werden. Unsere Häuser sind schon einmal privatisiert worden. Es muss sichergestellt sein, dass das nicht noch einmal passiert. Die sicherste Lösung für dieses Problem ist die Überführung der Häuser in demokratische Selbstverwaltung. Die Häuser müssen zwar rekommunalisiert werden, d.h. von den städtischen Wohnungsgesellschaften gekauft werden. Sie müssen aber ausgegliedert werden und in eine eigene, mieterbestimmte Institution übergehen. So wird energetische Sanierung keine Aufwertungsstrategie mehr sein. So können wir die Ausgaben für die Betriebskosten bestimmen. So können wir aus einem korrupten Milliardengeschäft ein basisdemokratisches Beispiel der Stadt von morgen machen. Modelle wie Hausgruppen, Baugruppen oder klassische Genossenschaften fallen dabei wegen ihres benötigten hohen sozialen und kulturellen Kapitals, ganz abgesehen von dem ökonomischen Kapital, das Eigentums-Genossenschaften aufbringen, aus. Selbst wenn diese Modelle das letztere nicht enthalten, benötigen sie eine Mehrheit von BewohnerInnen, die die anderen Kapitalien mitbringen. Eine Bewohnergenossenschaft am „Kotti“ würde nicht die 10% Quote HartzIV oder „Migrationshintergrund“ und 90% Bürgertum üblicher Baugruppen bedeuten, sondern die Umkehrung dieses Verhältnisses.

Ziel und Chance eines solchen Modell-Projektes soll es sein, einen Ausweg aus der Misere des alten Sozialen Wohnungsbaus aufzuzeigen, die Mieten konstant niedrig zu halten und die Fähigkeiten zur gesellschaftlichen Partizipation und Mitbestimmung der BewohnerInnen zu fördern. Die Aktivierung ehemals passiver Mitglieder dieser Gesellschaft, die durch den Protest von Kotti & Co erreicht wurde, soll in ein nachhaltiges und auf andere Kontexte übertragbares Modell von Selbstverwaltung auch nichtbürgerlicher Schichten in einem generationsübergreifenden, solidarischen Prinzip verstetigt werden.

Die bestehenden Erfahrungen und Wissenspotentiale der BewohnerInnen, die bislang gesellschaftlich entwertet wurden, wie generationsübergreifende familiäre Solidarität, Hartnäckigkeit, Kiezverbundenheit, Sorge um die Jugend, interkulturelle Kompetenz, Mehrsprachigkeit, Willkommenskultur, Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen und vieles mehr sollen durch das Modell-Projekt zu Säulen des Gemeinsamen werden.

An diesem Modell sind sicherlich noch einige Fragen offen. Wir laden alle ein, die auch die derzeitige Politik der organisierten Verantwortungslosigkeit angesichts der Verarmung und Verdrängung, satt haben, mit uns über diesen oder andere Wege zu diskutieren. Suchen wir nach neuen Wegen, unsere Mieten dem Markt zu entziehen.