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Über eine rechtspolitische Neuausrichtung des Sozialen Wohnungsbaus im Bestand

„Der Gesetzgeber könnte hier selbstverständlich eingreifen…“

Bereits vor Jahrzehnten wurde darüber berichtet, dass besondere „Berliner Verhältnisse“ dazu führten, dass die Kosten für die Errichtung von Sozialwohnungen bewusst und geplant in die Höhe getrieben wurden, um auf diese Weise möglichst hohe Verlustzuweisungen für Steuersparmodelle zu generieren. Bis heute wurde nicht untersucht, welche rechtlichen und welche rechtspolitischen Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. Dabei sind die damaligen „Berliner Verhältnisse“ für die Lösung des aktuellen Problems der „explodierenden“ Mieten im Sozialen Wohnungsbau von zentraler Bedeutung. Hierzu führte mieterstadt.de - Netzwerk für soziales Wohnen und bürgernahe Stadtentwicklung e.V. mit Herrn Prof. Dr. Martin Schwab, der an der Freien Universität Berlin die Professur für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Insolvenzrecht innehat, im Februar 2014 das folgende Gespräch.


eine Wohnanlage in der Greifenhagener Straße im Prenzlauer Berg im Herbst 2011 und im Frühjahr 2013.
Netzwerk mieterstadt.de: Als die Sozialwohnungen errichtet wurden, die heute wegen mehr oder minder unerschwinglicher Mieten Schlagzeilen machen, galt das II. Wohnungsbaugesetz. Dieses legte in § 1 fest, dass die Schaffung von Wohnraum nur dann staatlich gefördert werden sollte, wenn die zu schaffenden Wohnungen „nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für die breiten Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind (sozialer Wohnungsbau)“. Heute sehen sich die Mieterinnen und Mieter dieser Sozialwohnungen mit einer Kostenmiete von bis zu 21 €/qm konfrontiert, was ca. dem Dreifachen der ortsüblichen Vergleichsmiete entspricht.

Prof. Dr. Schwab: Das Wohnraumförderungsgesetz, welches das II. Wohnungsbaugesetz abgelöst hat, schreibt ausdrücklich vor, dass der Mietpreis unterhalb desjenigen Mietpreises liegen soll, der für freifinanzierte Wohnungen bezahlt wird. Das II. Wohnungsbaugesetz enthält einen ganz ähnlichen Leitgedanken: Dort ist von einer ausreichenden Versorgung aller Bevölkerungsschichten die Rede, namentlich derjenigen, die sich nicht selbst mit Wohnraum versorgen können. Dazu passen Kostenmieten von 21 €/qm eindeutig nicht.

Angesichts dieser Rechtslage ergibt sich die Frage: Wie konnte es zu solchen Kostenmieten überhaupt kommen? Wie konnten Mieten in dieser Höhe durch den öffentlichen Förderer jemals bewilligt werden? Wie wir wissen, werden die Mieten von der Kostenmiete aus auf die „Mietermiete“ herunter subventioniert. Je nachdem, ob die Fördermittel in einem Schlag entfallen oder Schritt für Schritt abgebaut werden, sieht sich der Mieter dann früher oder später mit der hohen Kostenmiete konfrontiert. Jetzt stellt sich die Frage: Entspricht eine solche Miethöhe dem Ziel des Sozialen Wohnungsbaus oder müssen wir an jenen Faktoren ansetzen, die zu dieser Miethöhe geführt haben, um sie rechtlich zu hinterfragen?

Netzwerk mieterstadt.de: Bei der Veranstaltung „Nichts läuft hier richtig“ im November 2012 wurde darüber berichtet, dass der Berechnung der Kostenmiete oft künstlich „aufgeblähte“ Kostenansätze aus der Bauphase der Häuser zugrunde liegen. Auf der Basis dieser Kostenansätze wurden die Fördermittel bewilligt. Wurde die Kostenmiete damit nicht amtlich genehmigt, so dass nun alle Beteiligten daran gebunden sind?

Prof. Dr. Schwab: Um die Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick ins öffentliche Recht wagen: Hat die Bewilligung der Kostenmiete durch den Fördermittelgeber – damals war das die Wohnungsbaukreditanstalt Berlin, heute ist das die Investitionsbank Berlin - eine Bindungswirkung für das Rechtsverhältnis zwischen dem Sozialmieter und seinem Vermieter? - Wenn man sich die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte dazu anschaut, muss man ganz eindeutig sagen: Nein. Die bewilligte Kostenmiete bildet nur die Grundlage für den Förderbescheid. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Mieter diese Miete tatsächlich auch hinnehmen muss, wenn er jetzt findet, dass die hier angesetzten Kosten nicht wirtschaftlich waren. Wir müssen bedenken, dass die Kosten, welche der Kostenmiete zugrunde gelegt werden, nach der II. Berechnungsverordnung wirtschaftlich sein müssen. Waren sie das nicht, hat der Mieter die Möglichkeit, in einem Rechtsstreit mit dem Vermieter darauf zu dringen, dass weniger Miete bezahlt wird. Er kann sagen, diese Kosten waren aufgebläht; ich, der Mieter, muss sie nicht mittels der Miete refinanzieren.

Netzwerk mieterstadt.de: Sprechen wir über den Wegfall der Anschlussförderung. Nach Bekanntwerden der drastischen Mieterhöhungen wurde im Juli 2011 vom Berliner Abgeordnetenhaus das Wohnraumgesetz Berlin (WoG Bln) als Korrektiv installiert.

Prof. Dr. Schwab: Ich habe meine Zweifel, ob mit dem Wohnraumgesetz der Stein der Weisen gefunden wurde. Der Übergang in das Vergleichsmietensystem ist nur für den Fall vorgesehen, dass der Eigentümer wechselt. Findet ein solcher Wechsel nicht statt, so bleibt es dabei, dass dem Mieter irgendwann die hohe Kostenmiete droht. Und wenn man sich überlegt, dass der Soziale Wohnungsbau früher mit Milliardensummen gefördert worden ist, bleibt volkswirtschaftlich ein schaler Beigeschmack: Man hat damals Steuergelder eingesetzt und sich zwei Gegenleistungen der Investoren erkauft, nämlich Belegungsbindung und Mietpreisbindung. Die Belegungsbindung hat man bereits 2003 ausgesetzt, als der Ausstieg aus der Anschlussförderung beschlossen wurde. Von der Mietpreisbindung – die man ja vielleicht auch anders gestalten könnte als mit überhöhten Kostenmieten – hat man sich jetzt mit dem Erlass des Wohnraumgesetzes verabschiedet. Im Prinzip hat man die Vorteile, die man sich mit Steuermitteln erkauft hat, leichtfertig wieder hergeschenkt. Nach einer planvoll durchdachten Wohnungspolitik hört sich das nicht unbedingt an.

Netzwerk mieterstadt.de: Hierzu haben wir folgenden Beispielfall: Für die Sozialwohnungen in der Greifenhagener Straße im Prenzlauer Berg wird eine Anschlussförderung nicht gewährt; einen Eigentümerwechsel hat es nicht gegeben. Der überwiegende Teil der Mieterinnen und Mieter konnte die ab Dezember 2011 um ca. 60% erhöhte Grundmiete von 9,66 €/qm finanziell nicht verkraften, weshalb sie ihre Wohnungen aufgeben und wegziehen mussten.

Prof. Dr. Schwab: Der Gesetzgeber könnte hier selbstverständlich eingreifen: Er könnte zum Beispiel bei den historischen Kosten ansetzen, die für die Errichtung der Sozialwohnungen ursprünglich aufgewendet wurden. Er könnte eine Vermutung des Inhalts ins Gesetz schreiben, dass diese Kosten nicht wirtschaftlich waren, wenn nachweislich Anreize bestanden, die Bauten zu überhöhten Kosten hochzuziehen. Damit würde er natürlich seiner eigenen Politik von damals den Bankrott erklären; aber es wäre eine Möglichkeit, diesen Menschen zu helfen.

Der Berliner Landesgesetzgeber könnte auch vorschreiben, dass die Miete nicht auf einen Schlag auf die volle Kostenmiete erhöht wird, sondern nur schrittweise. Der Gesetzgeber ist allerdings an Artikel 14 des Grundgesetzes, die Eigentumsgarantie, gebunden. Dieses Grundrecht gewährleistet dem Vermieter das Eigentum und dem Mieter den Besitz an der Mietwohnung. Der Gesetzgeber darf keine Regelung schaffen, die auf Seiten des Vermieters zu einem dauerhaften Verlustgeschäft führt. Der Gesetzgeber darf aber sehr wohl vorschreiben, dass zum Beispiel künstlich aufgebauschte Kosten vom Mieter nicht bezahlt werden dürfen. Denn solche Kosten sind das Privatvergnügen des Vermieters und hatten damals auch steuerliche Gründe. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgesprochen, dass die Sozialbindung des Eigentums beim öffentlich geförderten Wohnungsbau strenger greift als beim frei finanzierten.

Netzwerk mieterstadt.de: Zur Mietenbegrenzung im Sozialen Wohnungsbau wird derzeit auch die Einführung einer Richtsatzmiete diskutiert. Als Gegenargument wird ins Feld geführt, dass hiermit ein grundgesetzwidriger Eigentumseingriff verbunden sei. Besonderes Gewicht bekommt dieser Einwand, wenn die Anschlussförderung entfallen ist und der Vermieter Schwierigkeiten hat, die Baukosten zu refinanzieren. Einmal unterstellt, dass für den Bau von Sozialwohnungen tatsächlich die Kosten über das wirtschaftlich erforderliche Maß hinaus bewusst und geplant in die Höhe getrieben wurden: Welche Konsequenzen hätte dies?

Prof. Dr. Schwab: Die Konsequenzen wären verfassungsrechtlich gravierend: Artikel 14 Grundgesetz verbietet Mietpreisbremsen, die zu einem Dauerverlustgeschäft des Vermieters führen, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass auch wirtschaftlich gebaut wurde. In dem Moment, in dem die Kosten „aufgebläht“ werden, sehe ich keinen Grund, warum ausgerechnet ein Sozialmieter diese Miete bezahlen soll und das auch noch verfassungsrechtlich in Stein gemeißelt sein soll.

Netzwerk mieterstadt.de: Wenn aus juristischer Sicht ein Szenario aufgezeigt werden sollte, wie die Mieten im bestehenden Sozialen Wohnungsbau langfristig gesenkt werden könnten…

Prof. Dr. Schwab: … müssten wir zunächst die Gründe erforschen, die es möglich machen, dass Quadratmetermieten von zum Beispiel 5 € auf einmal zu Quadratmetermieten von zum Beispiel 13 € aufsteigen. Inwiefern haben sich da tatsächlich die steuerlichen Anreize für überteuertes Bauen niedergeschlagen? Wir müssen ferner nach rechtlichen Gestaltungsmitteln fragen: Wie reagieren wir etwa auf den Umstand, dass viele Förderimmobilien nach dem Wegfall der Anschlussförderung vom bisherigen Eigentümer nicht mehr bewirtschaftet werden konnten und daher von neuen Investoren zum Schnäppchenpreis erworben wurden? Hier wartet viel Arbeit auf die Berliner Politik, die im Interesse der betroffenen Mieter und Eigentümer erstens sehr sorgfältig und zweitens partei- und fraktionsübergreifend geleistet werden sollte. Das Untersuchungsprogramm ist anspruchsvoll. Vorteilhaft wäre daher die Einrichtung einer Enquête-Kommission.